Komposition

 
Mindmap Komposition

Allgemeines

Der Begriff der Komposition stammt aus der Kunst. Komposition ist ein Mittel zur Verbesserung der Ästhetik der Fotografie. Ästhetik kommt aus dem Griechischen und bedeutet Lehre von der Wahrnehmung.

Kunst und Fotografie haben viele Gemeinsamkeiten. So präsentieren Malerei und Grafik ihre Produkte genau wie die Fotografie auf einer zweidimensionalen Bildfläche. Es gelten die gleichen Beurteilungskriterien für Komposition und Interpretation. Der Hauptunterschied liegt in den technischen Mitteln der Herstellung.

Es geht hier um die menschliche Wahrnehmung dessen, was auf einem Foto abgebildet ist. Man muss klar unterscheiden zwischen der Ästhetik eines Objektes, das Teil einer Foto-Szene oder Motivs sein kann, und der Ästhetik der Wahrnehmung des Fotos als Ganzem. Ein ästhetisches Foto lässt sich sowohl von schönen als auch von hässlichen Objekten machen. Allerdings ist es deutlich leichter, von schönen Objekten ein schönes Foto zu machen. Manche Motive sperren sich erfolgreich gegen jede ästhetische Absicht. Die Ästhetik des Fotos ergibt sich aus einer geeigneten und angemessenen Gestaltung. Ästhetik bedeutet hier eine Gestaltung, die den Betrachter bindet und auf das eigentliche Motiv hinführt. Ästhetik bedeutet auch Prägnanz, Ausdrucksstärke, Erkennbarkeit. Etwas, das ins Auge springt, in die Augen sticht. Eine ästhetische Komposition vermeidet Ablenkung durch Nebensächlichkeiten oder offensichtliche Bildfehler. Sie bietet dem Auge Anhaltspunkte, Informationen und noch viel mehr. Ästhetik ist ein gutes Gesamtbild, welches sich aus vielen einzelnen gestalterischen Maßnahmen ergibt. Die wichtigsten Regeln und Prinzipien werden im Folgenden behandelt.

Es gibt eine Menge Faktoren, die man für eine ästhetische Beurteilung und Konstruktion mit Gewinn verwenden kann. Die Reihenfolge meiner Darstellung spielt keine Rolle. Verschiedene Ansätze bringen unterschiedliche Zugänge, welche vor allem in ihrer Gesamtheit Erfolg versprechend sind. Ich beginne aus gutem Grund mit der weitgehend unbekannten Ästhetiktheorie von Birkhoff. Diese ist nicht nur theoretisch, sondern auch vor allem praktisch relevant. Außerdem subsumiert sie alle anderen Theorien und kann diese sogar erklären.

Ästhetisches Maß nach Birkhoff

George David Birkhoff (1884–1944), ein amerikanischer Mathematiker, hat aufgrund von Kunststudien eine Formel der Ästhetik oder Schönheit entwickelt. Die Berechnungen hat er anhand von Polygonen durchgeführt, die sich durch die Verbindung einzelner in einem Bild unterscheidbarer Objekte ergeben. Je mehr solche Objekte vorhanden sind und Verbindungen zwischen ihnen hergestellt werden können, desto größer ist die Komplexität. Damit ein komplexes Objekt überschaubar, gut wahrnehmbar und auch verständlich wird, sind ordnende Faktoren oder Strukturen notwendig. Solche ergeben sich unter anderem aus Lage, Symmetrien und Formen der Objekte.

George David Birkhoff. Aesthetic measure. 1933. Harvard University Press. PDF-Download

Komplexität C

Zur Veranschaulichung bewerten wir einmal die Komplexität C auf einer Skala von 1 bis 10. Ein einfaches Motiv, wie das Foto einer Hauswand ohne Fenster, könnte man z.B. mit C = 1 bewerten. Einem Motiv mit vielen unterschiedlichen Objekten könnte man die Komplexität C = 10 zuordnen.

Ordnung O

Bewerten wir die Ordnung O ebenfalls auf einer Skala von 1 bis 10. Hauptelemente sind z.B. senkrechte und waagerechte Linien. Bei fast allen Fotos haben wir dazu noch einen rechteckigen Rahmen, der allein schon ein Minimum an Ordnung ausmacht.

Die Balance-Formel

Ein maximaler ästhetischer Wert M = 1 wird erreicht, wenn Komplexität und Ordnung gleich groß sind.

M = O/C = 1

M = aesthetic measure; O = aesthetic order; C = complexity

Beispiele

Unterstand
Geringe Komplexität, hohe Ordnung

Das Bild ist die Frontalaufnahme eines Unterstandes für Raucher, der sich vor einem Bürogebäude befindet. Da gibt es wenig unterscheidbare Objekte und alles erscheint übersichtlich und ordentlich. Alle rechteckigen Elemente sind genau senkrecht und waagerecht angeordnet. Es gibt praktisch nur eine Schärfeebene und fast keine Perspektive. Die Komplexität ist gering und die geometrische Ordnung hoch. Bewerten wir die Komplexität und Ordnung nach einer Skala von 1 bis 10, dann könnten wir die Ordnung mit 8 und die Komplexität mit 2 schätzen.

M = O/C; M = 8/2

M hätte dann einen Wert von 4 und ist größer als der optimale Wert von 1. Das Foto ist nur mäßig ästhetisch.

Unterstand
Höhere Komplexität, hohe Ordnung

Die Komplexität wird durch zwei zusätzliche Objekte erhöht. Die Ordnung bleibt gleich. Schätzen wir die Ordnung wie zuvor in der Skala auf 8 und bewerten wir die Komplexität jetzt höher mit 4, ergibt sich:

M = O/C; M = 8/4

M hätte dann einen Wert von 2 und hat sich dem optimalen Wert von 1 deutlich genähert. Es wirkt ästhetischer als das erste Foto.

mural
Hohe Komplexität, hohe Ordnung

Hier gibt es eine Vielzahl unterscheidbarer Objekte und die Komplexität ist hoch. Aber die ästhetische Ordnung ist ebenfalls hoch. Waagerechte Ausrichtung, korrekte Perspektive, viele Senkrechten, keine Überschneidungen, klare Aufteilung in Vordergrund, Mittelgrund und Hintergrund und mehr. Man kann hier von einem annähernden Gleichgewicht zwischen O und C und damit von einem guten ästhetischen Maß nahe 1 ausgehen. Das Foto ist sehr ästhetisch.

Praktische Anwendung

Selbstverständlich werden wir beim Fotografieren keine mathematischen Analysen und Berechnungen anhand von Polygonen durchführen.

Aber wir können die Formel trotzdem ganz praktisch als ein Denkmodell verwenden. Wir schauen einmal, wie komplex die zu fotografierende Szene ist, und mit welchen Mitteln wir sie so ordnen können, dass gefühlt ein Gleichgewicht zwischen O und C und damit eine gute Ästhetik entsteht. Aber man kann durchaus die von Birkhoff analysierten Polygone zur Betrachtung heranziehen. Fotografieren wir etwa ein Gebäude direkt frontal und in der Mitte und haben einen erhöhten Standpunkt, so dass die optische Achse unserer Kamera auf die Mitte der Gebäudehöhe zielt, bekommen wir ein perfektes Rechteck (Polygon). Die Ordnung des Fotos ist damit sehr hoch. Fotografieren wir aus Augenhöhe und stehen tiefer als die Gebäudemitte, verschwinden die rechten Winkel. Der Grad der Ordnung sinkt und wir erhalten die berüchtigten stürzenden Linien. Aber immerhin hat das Polygon noch eine Achsensymmetrie. Die Ordnung ist bereits reduziert. Komplex wird das Ganze, wenn wir das Gebäude über Eck fotografieren und noch tief stehen. Dann nehmen Symmetrie und Ordnung ab. Man muss schon eine Reihe von Maßnahmen treffen, um dem Foto noch ausgleichende Ordnung zu verpassen. Auf diesem Hintergrund hat man auch bereits eine gute Erklärung, warum das Entzerren stürzender Linien in der Regel die Ästhetik eines Fotos verbessert und so beliebt ist.

Um dieses etwas abstrakte Balance-Modell der Ästhetik mit Sinn zu füllen, mache ich mal einen Vorgriff auf die noch folgenden Gestaltungsmaßnahmen. Das Modell ist äußerst hilfreich bei der Bewältigung immer wieder auftauchender ästhetischer Probleme.

Problem: das Foto ist verwirrend und zu kompliziert.

Hier hilft die Reduktion der Komplexität. Man kann durch die Wahl des Ausschnitts die Zahl der Objekte und Details verringern. Ferner durch Wahl der Beleuchtung und Atmosphäre. Nebel, Dunkelheit, Gegenlicht, Schnee verschlucken Details. Nahezu immer können wir mit geringer Tiefenschärfe lichtstarker Objektive arbeiten. Schwarz-Weiß, Reduktion von Farben wären weitere Mittel.

Wollen wir aber Details und Objekte im Bild behalten, haben wir die Möglichkeit die Ordnung zu erhöhen, um die Balance zu erreichen. Strenge Ausrichtung an der Geometrie des Formates, klare Perspektive, Ausnutzung von Formen wie Dreieck, Kreis oder von sonstigen prägnanten Gestalten. Harmonisierung durch den Goldenen Schnitt und mehr.

In vielen Fällen wird man beide Möglichkeiten in einer Art Kompromiss verwenden.

Problem: das Foto ist zu langweilig, zu einfach strukturiert, es fehlt an Spannung und Interessantheit.

Hier erhöhen wir die Komplexität z.B. durch ausgeprägte Detailschärfe oder durch gezielte Störungen der Gleichförmigkeit. Etwa ein gekipptes Fenster in einer Glasfassade. Oder wir wählen einen größeren Ausschnitt mit zusätzlichen Objekten.

Wir könnten auch die Ordnung reduzieren. Weniger Symmetrie, weniger Ausrichtung, dynamischere Perspektive, starke Schatten oder Spiegelungen.

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Optische Täuschung

Optische Täuschungen sind die Spielwiese der Wahrnehmungspsychologie. Und sie zeigen, dass eine Fotografie mehr ist als ein rein geometrisch definierbares und beschreibbares Objekt. Die einzelnen Objekte innerhalb eines Fotos können einander beeinflussen. Obwohl geometrisch korrekt, wirken sie möglicherweise seltsam falsch. Für die Komposition eines Fotos sind solche Zusammenhänge nützlich. Unter anderem zeigen optische Täuschungen, dass die visuelle Wahrnehmung ein aktiver und komplexer Prozess ist. Ein Fotoapparat erfasst eine Motiv-Szene als Ganzes und zeichnet in einem kurzen Moment jedes Detail auf. Das Auge tastet die Motiv-Szene ab und setzt sie im Gehirn erst zusammen. Bei Betrachtung eines Fotos einer Szene ist das genauso. Das Auge schweift über das Foto, sieht dies und jenes, ignoriert anderes, und vergisst dabei auch laufend weniger wichtige Details.

Leicht zu erklären sind perspektivische Täuschungen. Sie treten auf, wenn sich real in unterschiedlicher Entfernung befindliche Objekte im Foto überschneiden oder zusammenkleben. In der Realität ist das Auge meistens fähig, durch die notwendige unterschiedliche Entfernungsfokussierung die reale Lage der Objekte zu erkennen. Auf dem Foto liegt alles ungefähr im gleichen Betrachtungsabstand. Auch wenn man die reale Beschaffenheit der Foto-Szene kennt, kann man sich oft nicht gegen die optische Täuschung auf dem Foto wehren.

Oben rechts ist das Objekt in Wirklichkeit nicht zusammenhängend. Es ist nur durch die Wahl des Blickwinkels zusammengeklebt.

Escher
Escher-Effekt

Aufmerksamkeit und Vergessen können zu verblüffenden Effekten führen. Wenn man das Foto wiederholt abtastet und anschaut, verschwindet der graue Eimer plötzlich für Sekundenbruchteile. Wir übersehen ihn und haben ihn vergessen. Und dann taucht er plötzlich wieder auf.

Camouflage
Der getarnte Eimer

Größentäuschung. Beide Wodkaflaschen sind geometrisch gleich groß. Eine Fotomontage. Man hätte die Flasche aber auch an einem Faden in gleicher Entfernung wie die rechte Flasche aufhängen können. Die Täuschung kommt zustande, weil wir wissen, dass bei der am Bahngleis sichtbaren Perspektive weiter hinten stehende Objekte kleiner erscheinen müssen als ein gleich großes Objekt im Vordergrund. Oder das hinten stehende Objekt ist in Wirklichkeit größer.

Wodkaflaschen
Große Wodkaflasche

Entfernungstäuschung. Das Schillerdenkmal steht ungefähr 20 Meter hinter dem Bauwagen.

Schiller
Schiller auf dem Bauwagen

Irritation durch farbliche Hervorhebung. Rot drängt sich in den Vordergrund. Die rote Parkplatzmarkierung scheint sich vom Boden zu lösen. Unterstützt wird das durch die senkrechte Positionierung innerhalb der Bildgeometrie.

Rote Linie
Aufrechte rote Linie

Zusammenfassung zur Komposition

Für die Komposition stehen eine Fülle von Mitteln zur Verfügung. Mit etwas Übung erhält man selbst von Motiven, die auf den ersten Blick unattraktiv aussehen, brauchbare bis gute Resultate. Allerdings muss die Komposition mit dem Motiv-Thema und der beabsichtigten Aussage abgestimmt werden.

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